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Drucksache 20/5646
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Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode
 dass sich derzeit viele Diskussionen – besonders in der Öffentlichkeit – auf die Fragen beziehen, ob Gesundheits- risiken ausreichend belegt bzw. widerlegt sind und ob Grenzwerte entsprechend verändert oder gar ein Morato- rium ausgerufen werden müsste.
Dabei gibt es durchaus etliche zielführende Optionen, auch bei eingeschränktem Wissensstand verantwor- tungsvoll und vorsorgend auf die von einigen vorgebrachten Gesundheitsbefürchtungen einzugehen: 1. Umsich- tige V ermeidung, d. h., begleitend zu Grenzwertsetzungen sollte nur die niedrigste, sinnvoll erreichbare Belastung angestrebt werden. 2. Formulierung spezifischer Leitlinien für den Sendeanlagenbau, das technische Design von Endgeräten und die Gestaltung der Grundversorgungsinfrastruktur. 3. Gezielte Information zu den technischen Details aller geplanten Ausbaustufen, den tatsächlich erwartbaren Anwendungsbereichen, Geräten und Anlagen und damit zur erwartbaren Expositionssituation. 4. Förderung unabhängiger, nationaler und internationaler For- schung auf höchstem Niveau. 5. Neue Wege und Orte der Unsicherheits- und Risikoinformation und des Dialogs angesichts des hohen Bedarfs an Austausch der unterschiedlichen Akteure. 6. Evaluierung des Risikogovernance- systems im Hinblick auf die in der Regel institutionell getrennte Bearbeitung von Evidenzbeurteilung, Handlungs- empfehlung und politische Entscheidung.
Evidenz und Kontextfaktoren
Die wissenschaftliche Beantwortung der Frage nach den »Gesundheitlichen Risiken des Mobilfunks« ist hoch- komplex und eine abschließende Beweisführung für die Abwesenheit jedes hier relevanten Risikos ist per se nicht zu erwarten bzw. zu leisten. Es existieren auch unter wissenschaftlichen Expert/innen sehr unterschiedliche Sicht- weisen und Herangehensweisen zur Interpretation und Bewertung der wissenschaftlich geklärten wie auch der ungeklärten Aspekte der gesundheitlichen Wirkungen von EMF – und diese unterschiedlichen Einsichten und Ansichten haben ihre jeweilige Berechtigung. Klar ist auch, dass eine rein evidenzbasierte Betrachtungsweise zwar eine unverzichtbare Grundlage darstellt, aber keinesfalls ausreicht, um eine umfangreiche Risikobewertung vorzunehmen, die im Problemfeld Mobilfunk bestehenden starken Interessen- und Wertekonflikte politisch bzw. gesellschaftlich anzugehen und über etwaige Vorsorgemaßnahmen zu bestimmen.
Zu konstatieren ist, dass es Grenzen der Modellierbarkeit, Untersuchbarkeit, Reproduzierbarkeit, Validier- barkeit, Erklärbarkeit und (widerspruchsfreien) Interpretierbarkeit gibt. Es ist davon auszugehen, dass es letztlich nicht möglich ist, den Evidenzstand zu diesem Themenbereich (ausschließlich) wissenschaftlich zu diskutieren, sinnvoll an die Öffentlichkeit zu kommunizieren oder in politischen Entscheidungen heranzuziehen, ohne die verschiedenen – und durchaus unterschiedlich als relevant angesehenen – Kontextfaktoren zu berücksichtigen. Darauf verweisen die jahrelangen Erfahrungen aus vergangenen Debatten um den Mobilfunk (und anderer ähnli- cher komplexer und konfliktträchtiger Problemfelder wie etwa »Grüne Gentechnik« oder »Kernenergie«). Wird allein auf jenen Anteil der Evidenz fokussiert, der als wissenschaftlich bewiesen gilt, aber anderes ausklammert (u.a. inadäqate und limitierte Evidenz, Hinweise, Wirkhypothesen ohne Evidenz, möglicher Bias), kann dies zur weiteren aufgeladenen Politisierung des Themas führen mit massiven »Sekundäreffekten« wie Emotionalisierung, Kommunikationsdefiziten, Lagerbildungen, Misstrauen und fehlender Transparenz.
Die häufig im Kontext des Problemfelds Mobilfunk zu konstatierende »Einbahnkommunikation« zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit oder auch Politik und Öffentlichkeit scheint sehr ungeeignet für zielführende Diskurse zu sein. Erfolgversprechender hingegen sind wechselseitiges Zuhören und der unvoreingenommene Di- alog zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und Politik. Wesentlich erscheint, Vertrauen aufzubauen und zu stär- ken, sodass individuelle Bedenken, Handlungsspielräume und Werthaltungen gehört und politisch ernst genom- men werden (können). So wird es eher möglich sein, den bestehenden Sachstand und die hiermit verknüpften Unzulänglichkeiten und Kontroversen sinnvoll und zielführend einzuordnen und unter Berücksichtigung aller wissenschaftlich geklärten, kontroversen und ungeklärten Aspekte für gesellschaftliche Entscheidungsoptionen auszuhandeln. Gute Kenntnis des Sachstandes ist ebenso wichtig wie das Erkennen und Anerkennen von Interes- sen, Kontroversen, Wissenslücken und unterschiedlichen Risikokulturen. Dagegen kann der exklusive Verweis auf das Nachgewiesene Misstrauen schüren und eine sachliche Diskussion erschweren.
 Vorabfassung – wird durch die endgültige Fassung ersetzt.

























































































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