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Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 17 – Drucksache 20/5646 Risikogovernance und Partizipation – Optionen für weiteres Vorgehen
Die relevanten Faktoren für eine effektive Risikogovernance sind aus der systemischen Risikoforschung bekannt: Erfolgversprechend ist ein offener, transparenter und inklusiver Ansatz, der die Bedeutung der Partizipation aller relevanten Stakeholder sowohl bei der Risikobewertung als auch beim Risikomanagement anerkennt und entspre- chend Partizipationsmöglichkeiten einräumt. Dieses Grundprinzip genießt inzwischen eine breite Akzeptanz. So ist es beispielsweise ein zentrales Element der Empfehlungen der OECD für die Governance kritischer Risiken. Eine offene und breite Partizipation von Stakeholdern ermöglicht die Entwicklung eines gemeinsamen Verständ- nisses der Problemlage und eine effizientere Lösungsfindung, die von einer Vielfalt an Information und Sichtwei- sen insbesondere bezüglich des Umgangs mit Unsicherheiten und Nebenwirkungen der möglichen Maßnahmen bzw. Grenzwerte profitiert.
Grundsätzlich ist die Governance von Risiken eine politische Aufgabe, die auf wissenschaftlichen Erkennt- nissen fußt und darüber hinaus geht. Dabei sollen der Handlungsbedarf festgestellt sowie einzelne Maßnahmeop- tionen identifiziert, bewertet und verglichen werden. Für die Ableitung der Notwendigkeit von Vorsorgemaßnah- men sind neben einer Bewertung der verfügbaren wissenschaftlichen Evidenz und damit verbundenen (Un-)Si- cherheiten auch weitere Wissenselemente einzubeziehen. Dazu zählt z.B. die Bewertung des Abstands zu einer möglichen Wirkschwelle und das Ausmaß der möglichen Schäden. Politische, soziale, mediale und kulturelle Aspekte sind bei der Risikobewertung ebenfalls im Blick zu behalten. Dafür können demokratiepolitische Quali- tätskriterien angelegt werden.
Wichtig ist, der interessierten bzw. organisierten Öffentlichkeit eine Möglichkeit der Mitsprache vor der politischen Entscheidungsfindung einzuräumen. Öffentliche Debatten über Risiken sind für das Vertrauen in und die Akzeptanz von Entscheidungen essenziell. Hier gilt es, für eine gute Strukturierung der Debatte zu sorgen und einen starken Fokus auf die Inhalte zu legen, dabei auch auf die quantitative Abschätzung der Risiken zu berück- sichtigen. Klar ausgewählte strittige Aspekte und die möglichen Folgen einer Regulierung bzw. von verschiede- nen Maßnahmeoptionen sollen diskutiert werden. Eine Diskussion von Prozeduren der Risikoabschätzung sollte möglichst vermieden werden bzw. in den Hintergrund rücken. Die Ergebnisse der Risikoabschätzung sollen für die Öffentlichkeit aufbereitet und kommunikativ begleitet werden, insbesondere wenn Wiedersprüche vorliegen. Darüber hinaus kann es sinnvoll sein, die Partizipation der Öffentlichkeit an der Gestaltung von Forschungspro- grammen und -design zu ermöglichen oder zu stärken, um die Akzeptanz der resultierenden Erkenntnisse zu stär- ken.
Zu bedenken ist ebenfalls, das Öffentlichkeitsbeteiligungen mehr als nur einen positiven Vertrauensaufbau bewirken, sondern auch eine Diskussion von Laieneinschätzungen wie etwa subjektiven intuitiven Befunden mit einem gewissen Wert für die Risikoeinschätzung ermöglichen können (z. B. die Zunahme von multiplen Exposi- tionssituationen). Dies wiederum könnte als Korrektiv hinsichtlich der Transparenz oder der Balance (tatsächli- cher oder vermeintlicher) Partikularinteressen dienen sowie zugleich die Fähigkeit zum angemessenen Umgang mit potenziellen Risiken und die Expertise zu dem Thema (unter den Betroffenen) erhöhen.
Bei der Entscheidung über Vorsorgemaßnahmen sollten die allgemeinen und anerkannten Grundsätze des Risikomanagements zur Anwendung kommen. Dazu gehören das Prinzip der Verhältnismäßigkeit sowie die Ab- wägung der Vor- und Nachteile eines Tätigwerdens bzw. Nichttätigwerdens. Kosten und Nutzen sollen gegen- übergestellt werden und nichtwirtschaftliche Dimensionen wie die Akzeptanz der Öffentlichkeit für die vorgese- henen Maßnahmen sollen in die Beratung bzw. Entscheidungsfindung Eingang finden. Nur auf einer breiten Wis- sensgrundlage kann evaluiert werden, ob ein Handlungsbedarf besteht und ggf. Vorsorgemaßnahmen bestimmt werden müssten, die dem angestrebten Schutzniveau entsprechen. Neben einer Anpassung der Grenzwerte können auch Beschränkungen der Verwendung (z.B. die Einrichtung von Schutzzonen, in denen die Verwendung von Mobiltelefonen oder die Errichtung von Sendeanlagen verboten oder stark eingeschränkt wird), technische Stan- dards oder die verstärkte Information der Bevölkerung in Betracht gezogen werden. Auch über die vom BfS empfohlenen und allgemein üblichen Anwendungsempfehlungen deutlich hinausgehende kommen infrage.
Mängel in der Risikogovernance (z. B. fehlende Öffentlichkeitsbeteiligung, Ignorieren bestehender Interes- senkonflikte, Versäumnisse in der Risikokommunikation oder mediale Fehlinformation) können zu wechselseiti- gem Vertrauensverlust und Diskussionsabbruch führen und in der Folge sowohl wissenschaftliche als auch de- mokratiepolitische Defizite bewirken. Letztlich besteht eine ganz wesentliche Aufgabe darin, Hürden für eine offene wechselseitige Kommunikation von Akteursgruppen insbesondere zwischen Wissenschaft, Zivilgesell- schaft und Politik abzubauen um somit Glaubwürdigkeit, Relevanz und Legitimität des Informationsflusses und
  Vorabfassung – wird durch die endgültige Fassung ersetzt.



























































































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