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Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 11 – Drucksache 20/5646
 ein, sowohl bezüglich der biologischen bzw. gesundheitlichen Wirkungen von EMF als auch der Dosimetrie bzw. dem präziseren Verständnis bestimmter Expositionsszenarien. Damit soll die neue Richtlinie detailreicher, ge- nauer und zukunftssicherer sein, gleichzeitig ist sie aber gegenüber den alten Richtlinien deutlich komplexer. Gleich geblieben ist die Begründung für die Begrenzung der Exposition: im Frequenzbereich bis 10 MHz soll die Stimulation von Nerven und bei höheren Frequenzen die Erwärmung des Gewebes begrenzt werden. Über die thermischen Effekte von HF-EMF hinausgehende gesundheitliche Auswirkungen werden wie bisher als nicht hinreichend wissenschaftlich belegt angesehen, um daraus Restriktionen ableiten zu können.
Im Grundsatz ist die Setzung von Grenzwerten ein Ergebnis eines Risikogovernanceprozesses. In Deutsch- land und in vielen Ländern weltweit ist die Strategie der Risikogovernance im Umgang mit möglichen Gesund- heitsrisiken durch HF-EMF wegen der hervorgehobenen Rolle der ICNIRP-Empfehlungen stark bzw. fast aus- schließlich expertenzentriert. Dies ist insofern diskussionswürdig, als hierdurch die Festlegung der Rahmenbe- dingungen für die Risikobewertung, die Risikobewertung selbst und die Entscheidung darüber, welche Konse- quenzen (in diesem Fall Grenzwerte) daraus abzuleiten sind, faktisch ausschließlich einem Expertengremium überlassen werden. Infolgedessen stützt sich auch die Begründung für die Erforderlichkeit bzw. Angemessenheit der Regulierung unmittelbar (und oft ausschließlich) auf das Fachwissen eines Expertengremiums. Hingegen wer- den die Belange möglicher Risikoträger bzw. anderer gesellschaftlicher Gruppen formal erst im Rahmen der Um- setzung von Maßnahmen des Risikomanagements im Zuge eines Gesetzgebungsverfahrens einbezogen. Die letzt- lich somit recht geringe Anzahl der über diese Wege am Diskus beteiligten Expert/innen, (betroffenen) Personen- kreise und auch Institutionen führt mitunter zu dem Vorwurf einer fehlenden Unvoreingenommenheit bzw. eines interessengeleiteten Agierens und Entscheidens, wie auch zur Entstehung und Perpetuierung einer »Lagerbil- dung«, deren jeweilige Protagonisten nicht in einem konstruktiven Diskurs zueinander finden.
Forschungsstand und Forschungsbedarf zu möglichen gesundheitlichen Auswirkungen von HF-EMF
Für den Bericht wird eine Einordnung relevanter Forschungsarbeiten zu möglichen gesundheitlichen Auswirkun- gen und Risiken von HF-EMF vorgenommen. Dazu wurden die Ergebnisse aus aktuellen nationalen und interna- tionalen Forschungsprojekten gesichtet und analysiert, ob relevante neue Erkenntnisse vorliegen, die substanziell die Diskussionen zu möglichen gesundheitlichen Auswirkungen bzw. Risiken der HF-EMF verändern könnten. Als Ausgangspunkt wurden die Befunde des 2008 zu Ende gegangenen Deutschen Mobilfunk Forschungspro- gramms (DMF) gewählt. Der Fokus lag darauf herauszuarbeiten, welchen wissenschaftlichen Erkenntniszuwachs neuere Forschungsergebnisse (ab 2010) über die Ergebnisse des DMF hinaus erbracht haben.
Für die Bewertung der neueren wissenschaftlichen Erkenntnisse zu möglichen gesundheitlichen Auswirkun- gen von HF-EMF wurden Publikationen von Forschungsprogrammen ausgewählter europäischer Länder (inklu- sive der EU) ab dem Jahr 2010 gesichtet. Ergänzend dazu wurden über 250 wissenschaftliche Publikationen (mehrheitlich ab dem Erscheinungsjahr 2010) aus anderen Regionen ausgewertet.
Für die Analyse wurden nur Studien berücksichtigt, die bestimmte Mindeststandards der wissenschaftlichen Qualität erfüllen. Insgesamt wurden für diesen Bericht etwa 330 in wissenschaftlichen Zeitschriften publizierte Artikel hinsichtlich ihrer Qualität bewertet. Etwa 120 (ca. 36 %) wurden als qualitativ ungenügend beurteilt. Kei- ner Qualitätsprüfung unterzogen wurden die Studien, die im Rahmen des DMF-Programms durchgeführt wurden, da diese als Beurteilungsbasis für die Bewertung des seitdem erzielten Wissensfortschritts dienen. Darüber hinaus wurden auch Publikationen nicht geprüft, bei denen es sich nicht um primäre Fachpublikationen handelt, also insbesondere Übersichtsartikel, Reviews, Projektberichte sowie Berichte von Experten- und Beratungsgremien.
Zur Charakterisierung, wie sich die wissenschaftliche Beweislage bzw. das Maß an Unsicherheit des Wissens bei einem untersuchten Sachverhalt darstellt, wurde ein Klassifikationssystem verwendet, das sich an die von der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) verwendeten Bewertungskategorien anlehnt. Zugleich wurde für den vorliegenden Bericht von der durch die schweizerische Forschungsstiftung Strom und Mobilkommunika- tion (FSM) an der ETH Zürich entwickelten Evidenzmatrix Gebrauch gemacht. Diese gliedert das gesamte Ana- lysefeld nach den beiden Dimensionen Studientypen (Humanstudien, Tierstudien und Zellstudien) und gesund- heitliche Fragestellungen (Endpunkte der Forschung). Diese Herangehensweise erlaubt eine differenzierte Dar- stellung des Erkenntnisstands und spezifische Aussagen zur wissenschaftlichen Risikoeinschätzung.
 Vorabfassung – wird durch die endgültige Fassung ersetzt.


























































































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