Page 12 - Auswirkungen-HF-EMF-auf-die-Gesundheit
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Drucksache 20/5646
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Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode
 Obwohl für etliche gesundheitliche Fragestellungen in den letzten zehn Jahren eine Vielzahl an wissenschaft- lichen Publikationen erschienen sind, bewegt sich der Erkenntnisfortschritt nur in kleinen Schritten. Häufig kann auch in Studien von hoher wissenschaftlicher Qualität die An- oder Abwesenheit eines bestimmten biologischen bzw. gesundheitlichen Effekts nicht konsistent nachgewiesen werden. Somit ist die Evidenzlage vielfach unüber- sichtlich und der Forschungsbedarf zur Klärung offener Fragen bleibt anhaltend hoch.
Insgesamt gesehen zeigt sich die aktuelle Erkenntnislage wie folgt: Evidenz verdichtet sich dahingehend, dass HF-Exposition das Verhalten von Labortieren beeinflusst. Auch gibt es eine Reihe von ernstzunehmenden Hinweisen, dass HF-EMF das Tumorrisiko bei ausgewählten Tumoren (Herz, Lunge, Leber, Lymphe) erhöhen. Vor allem die Ergebnisse zweier großer, qualitativ hochwertiger Studien aus dem Jahr 2020 haben dazu geführt, dass diese Befundlage intensiv diskutiert wird). Ebenfalls bei Tierstudien sind Hinweise gefunden worden, dass HF-EMF einen Einfluss auf neurodegenerative Erkrankungen haben könnten. Möglicherweise spielt dabei eine unter HF-EMF-Exposition höhere Anzahl Sauerstoffradikale in Zellen eine Rolle. Der Nachweis dieses Effekts in Zellstudien ist zwar noch nicht überzeugend, aber neuere Tierstudien stützen mit limitierter Evidenz diesen Befund. Im Hinblick auf Krebsentstehung können neuere Tierstudien erhöhte Inzidenzen zeigen. Danach zeigen sich bei Mäusen, die mit einem karzinogenen Stoff (hier: Ethylnitrosoharnstoff) behandelt wurden, mehr Leber- und Lungentumore sowie erhöhte Werte von Lymphomen, wenn die Tiere gegenüber HF-EMF exponiert wer- den. Allerdings konnte kein klarer Dosis-Wirkungs-Zusammenhang gefunden werden.
Auch bei neueren Humanstudien werden Hinweise auf einige (negative) Wirkungen von HF-EMF in Erwä- gung gezogen. Sie betreffen eine mögliche Beeinflussung des Schlafs, wobei die Nachweise insgesamt inadäquat sind. Nur bei Kindern konnte ein limitierter Nachweis hinsichtlich Einschränkungen der Schlafqualität geführt werden. Auch weisen experimentelle Studien auf einen negativen Einfluss auf das Wachstum von Neuriten (langgestreckte Fortsätze von Nervenzellen) hin. Sollten sich diese Resultate replizieren und bestätigen lassen, wäre dies für die Entwicklung von neurodegenerativen Erkrankungen von großer Relevanz, denn Neuriten sind Vorstufen von Dendriten und Axonen. Aufgrund der zahlreichen möglichen Auswirkungen auf neurodegene- rative Erkrankungen sowie auf die Kognition sollten diese Aspekte in weiteren Forschungen abgeklärt werden.
Nicht unterschätzt werden sollte, dass die gesellschaftliche und/oder politische Perspektive sich durchaus von der rein wissenschaftlichen Perspektive unterscheiden kann. Politisch relevant erscheinen vor allem die As- pekte bzw. Forschungspunkte, die in der öffentlichen Debatte präsent sind und bei denen noch kein abschließen- des wissenschaftliches Urteil gefällt werden kann. Dabei handelt es sich insbesondere um die genannten Krebs- erkrankungen, Einflüsse auf Kognition und Schlaf (mit speziellem Fokus auf Kinder) sowie einen möglichen Zusammenhang mit neurodegenerativen Erkrankungen. In einer Gesamtabwägung wird folgender Forschungsbe- darf gesehen:
› Adaptive Response: Neuere Tierstudien zeigen eine adaptive Antwort bei Exposition mit HF-EMF vor Ein- wirkung mit anderen Noxen. EMF dämpft teilweise die schädlichen Einflüsse. Es sollte abgeklärt werden, wie stichhaltig diese Befunde sind. Unter anderem könnten sich daraus gezielte Hinweise hinsichtlich mög- licher (relevanter) Wirkmechanismen ergeben.
› Kognition und Schlaf: Den Hinweisen, dass das Gehirn auf HF-EMF Exposition unterhalb der Grenzwerte reagieren kann, sollte nachgegangen werden. Insbesondere die Frage der gesundheitlichen Bedeutung dieser Effekte sollte abgeklärt werden. Für belastbare Aussagen müssen Studien jedoch von hoher methodischer Qua- lität sein. Erkenntnisse zur inter- und intraindividuellen Variabilität bzw. Reproduzierbarkeit der Effekte wären sehr hilfreich für die Beurteilung ihrer Relevanz.
› Neurodegenerative Krankheiten: Aus einer Zell- und einer Tierstudie liegen Hinweise auf Einflüsse der HF- EMF-Exposition auf das Wachstum von Neuriten vor. Aufgrund der Bedeutung dieser Beobachtung für neu- rodegenerative Erkrankungen und kognitive Funktionen sollten diese Beobachtungen unbedingt weiter abge- klärt werden.
› Elektrohypersensibilität: Studien mit elektrosensiblen Personen könnten eine wissenschaftliche Grundlage schaffen, um das Symptombild EHS (Elektrohypersensibilität) wissenschaftlich besser zu verstehen. Dazu wäre es notwendig, eine Gruppe von Personen zu identifizieren, die nachweislich eine spezifische Sensibilität hinsichtlich HF-EMF aufweisen. Dies würde sowohl Untersuchungen bezüglich verschiedener biologischer Endpunkte vereinfachen als auch mögliche Effekte klarer zeigen.
Vorabfassung – wird durch die endgültige Fassung ersetzt.























































































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