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Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 77 – Drucksache 20/5646 Grenzwerte und Risikogovernance für
elektromagnetische Felder
Zum Schutz der Bevölkerung vor möglichen gesundheitlichen Risiken durch die Exposition mit hochfrequenten elektromagnetischen Feldern sind in Deutschland und den meisten anderen Ländern Grenzwerte in Kraft. Die Grundlage für die Festsetzung von Grenzwerten sind die wissenschaftlich nachgewiesenen gesundheitlichen Ri- siken. Da ein klarer wissenschaftlicher Nachweis für gesundheitliche Effekte von HF-EMF bislang nur für ther- mische Wirkungen geführt werden konnte, zielen die Grenzwerte darauf ab, gesundheitsrelevante Wärmebelas- tungen des Körpers durch HF-EMF zu verhindern.
Wie in den Kapiteln 4.3, 4.4 und 4.5 ausführlich dargelegt, existiert bezüglich möglicher nichtthermischer Wirkungen mit gesundheitlichen Auswirkungen eine Vielzahl von Studien unterschiedlicher Qualität mit teils widersprüchlichen bzw. inkonsistenten Resultaten. Ob und ggf. wie diese Evidenzen bei der Festsetzung von Grenzwerten für HF-EMF zu berücksichtigen sind, wird in Fachkreisen und in der breiten Öffentlichkeit zum Teil sehr kontrovers diskutiert. Im konventionellen Ansatz, der von den relevanten Behörden verfolgt wird, werden sie bei der Setzung von Grenzwerten nicht berücksichtigt, sondern führen zur Empfehlung von Vorsorgemaßnah- men. So empfiehlt etwa die Strahlenschutzkommission, über die Einhaltung der Grenzwerte hinaus »Maßnahmen zu ergreifen, um Expositionen durch elektrische, magnetische und elektromagnetische Felder im Rahmen der technisch und wirtschaftlich sinnvollen Möglichkeiten zu minimieren. Dies gilt insbesondere für Bereiche, in denen sich Personen regelmäßig über längere Zeit aufhalten.« (SSK 2001, S. 16).
Einen Schritt weiter geht hier etwa die Schweiz, die nicht nur anmahnt, dass technisch und wirtschaftlich sinnvoll umsetzbare Maßnahmen zur Expositionsminimierung durchgeführt werden, sondern diese mittels Anla- gengrenzwerten festschreibt. Damit wird dem in der Schweizer Umweltschutzgesetzgebung verankerten Vorsor- geprinzip Rechnung getragen. Diese Anlagengrenzwerte sind etwa zehnfach niedriger als die Expositionsgrenz- werte und gelten nur an »Orten mit empfindlicher Nutzung« (z. B. Wohnräume, Schulräume, Kindergärten, Kran- kenhäuser, ständige Arbeitsplätze) (Missling et al. 2016, 180 f.).
Die in Deutschland gültigen Grenzwerte gehen auf Empfehlungen der Internationalen Kommission zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung (ICNIRP) zurück. Diese Empfehlungen nehmen international eine her- ausgehobene Stellung ein. So stützen sich auch die Richtlinien und Empfehlungen der EU (Rat der Europäischen Union 1999; Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union 26.6.2013) und die Grenzwerte vieler weiterer Länder auf sie (Missling et al. 2016). Die WHO setzt sich ebenfalls dafür ein, die ICNIRP-Empfehlungen als Richtschnur zu nutzen (WHO 2006a, 7 f.).
Daher werden im Folgenden zunächst die wesentlichen Inhalte der ICNIRP-Empfehlungen dargelegt. Da- nach werden die in Deutschland geltenden Grenzwerte aufgeführt und diskutiert.
Empfehlungen der ICNIRP
Die ICNIRP-Empfehlungen zur Begrenzung der Exposition durch hochfrequente elektromagnetische Felder zie- len darauf ab, sicherzustellen, dass die Temperaturerhöhung im Körpergewebe den Wert von 1 °C nicht über-
19
In ihrer Empfehlung zur Begrenzung von elektrischen, magnetischen und elektromagnetischen Wechselfel- dern im Frequenzbereich bis 300 GHz unterscheidet die ICNIRP zwischen Basisgrenzwerten (»basic restric- tions«) und Referenzwerten (»reference levels«) (ICNIRP 1998, S. 495): Basisgrenzwerte beziehen sich unmittel-
19 Beim hier nicht näher diskutierten Bereich niederfrequenter Felder (bis ca. 100 kHz) stehen Einflüsse auf Muskel- und Nervenzellen im Vordergrund, die durch induzierte Körperströme verursacht werden.
     schreitet.
mittels der spezifischen Absorptionsrate SAR (Maßeinheit Watt pro Kilogramm – W/kg), die die Leistung (Ener- giemenge pro Sekunde) angibt, die pro Kilogramm Körpergewebe absorbiert wird. Zur Orientierung: eine Ganz- körperexposition mit einer SAR von etwa 4 W/kg, die 30 Minuten andauert, bewirkt eine Temperaturerhöhung von ungefähr 1 °C in den meisten Körpergeweben.
Körpergewebe erwärmen sich, wenn sie Strahlungsenergie absorbieren. Angegeben wird dies meist
 Vorabfassung – wird durch die endgültige Fassung ersetzt.



















































































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