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Drucksache 20/5646
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Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode
 werden, ob ein Handlungsbedarf besteht und ggf. Vorsorgemaßnahmen bestimmt werden, die dem angestrebten Schutzniveau entsprechen. Neben einer Anpassung der Grenzwerte können auch Beschränkungen der Verwen- dung, verstärkte Informationen der Bevölkerung, technische Standards, die der Ermittlung und Anwendung des SAR–Wertes zugrunde liegen, oder auch Schutzzonen eingerichtet werden, in denen z.B. die Verwendung von Mobiltelefonen oder die Errichtung von Sendeanlagen verboten oder stark eingeschränkt wird, in Betracht gezo- gen werden. Auch über die vom BfS hinausgehenden Anwendungsempfehlungen kommen infrage.
 In Deutschland wie in vielen anderen Ländern weltweit auch ist die staatliche bzw. behördliche Risikogover- nance bezüglich möglicher Gesundheitsrisiken durch HF-EMF zumeist stark expertenzentriert. Zugleich ent- steht manchmal durchaus der Eindruck, als wenn es letztlich nur wenige (und häufig dieselben) Expert/innen zum Thema »Gesundheitliche Risiken des Mobilfunks« gibt, die umfängliche Expertise hierzu erworben haben und die zugleich sehr oft immer wieder von staatlichen Behörden nachgefragt werden. Und so wird etwa die Festlegung der Rahmenbedingungen für die Risikobewertung, die Risikobewertung selbst und die Entschei- dung darüber, welche EMF-Expositionen noch tolerierbar sind, faktisch zumeist einem Personenkreis überlas- sen, der aus engagierten Einzelpersonen oder einem Expertengremium, nämlich insbesondere der ICNIRP, besteht. Hier zeigt sich, dass wesentliche bzw. relevante Aggregatoren und deren Entscheidungen in Politik bzw. in durch öffentliche Institutionen einberufenen Gremien die Expertise bzw. Einschätzungen von oft nur wenigen Expert/innen repräsentieren (ITA 2020, S.32).Ein wesentliches Charakteristikum dieser Vorgehens- weise ist also, dass sich die Begründung für die Erforderlichkeit bzw. Angemessenheit der Regulierung unmit- telbar (und oft ausschließlich) auf die wissenschaftliche Expertise des Expertengremiums stützt.
Hingegen werden die Belange möglicher Risikoträger und anderer, vor allem nichtwirtschaftlicher Inte- ressengruppen formal erst im Rahmen der Umsetzung von Maßnahmen des Risikomanagements im Zuge eines Gesetzgebungsverfahrens einbezogen. Die letztlich somit recht geringe Anzahl der über diese Wege am Dis- kurs beteiligten Expert/innen, (betroffenen) Personenkreise und auch Institutionen führt mitunter zu dem Vor- wurf einer fehlenden Unvoreingenommenheit bzw. eines interessengeleiteten Agierens und Entscheidens, wie auch zur Entstehung und Perpetuierung einer »Lagerbildung« (ITA 2020, S. 33).
Die Erfolgsfaktoren für eine effektive Risikogovernance sind aus der systemischen Risikoforschung bekannt: Er- folgversprechend ist ein offener, transparenter und inklusiver Ansatz, der die Bedeutung der Partizipation aller relevanten Stakeholder sowohl bei der Risikobewertung als auch beim Risikomanagement anerkennt und entspre- chend (frühzeitig) Partizipationsmöglichkeiten einräumt. Dieses Grundprinzip genießt inzwischen eine breite An- erkennung. So ist es beispielsweise ein zentrales Element der Empfehlungen der OECD für die Governance kri- tischer Risiken (OECD 2014). Eine offene und breite Partizipation von Stakeholdern ermöglicht die Entwicklung eines in der Governance systemischer Risiken notwendigen gemeinsamen Verständnisses der Problemlage und eine effizientere Lösungsfindung, die von einer Vielfalt an Information und Sichtweisen insbesondere bezüglich des Umgangs mit Unsicherheiten und Nebenwirkungen der möglichen Maßnahmen bzw. Grenzwerte profitiert (IRGC 2017b, S. 18–19; 36–37).
Eine wesentliche Aufgabe besteht darin, Hürden für eine offene wechselseitige Kommunikation von Ak- teursgruppen insbesondere zwischen Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik abzubauen um somit Glaubwür- digkeit, Relevanz und Legitimität des Informationsflusses und damit letztlich auch der Entscheidungen zu ermög- lichen. Auf diese Weise kann der gesellschaftliche Kontext sowohl der Risiken als auch der zu treffenden Ent- scheidungen (insbesondere zur Regulierung) am besten einbezogen werden (IRGC 2017a, S. 27).
Vor diesem Hintergrund wäre es aus Sicht des TAB erwägenswert, den Prozess der Risikobewertung und
des Risikomanagements einer Evaluation dahingehend zu unterziehen, ob relevante Stakeholder rechtzeitig und
umfassend genug einbezogen sind und ob die Kommunikation der einzelnen Schritte offen und transparent ist.
Falls nach entsprechendem Ausgang der Evaluation ein Reformbedarf gesehen wird, stehen orientierende Bei-
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spiele bereit.
 90 z. B. https://irgc.org/risk-governance/irgc-risk-governance-framework/case-studies/ (1.10.2020)
Vorabfassung – wird durch die endgültige Fassung ersetzt.



















































































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