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Drucksache 20/5646
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Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode
 scheinexponierte Ratte erkrankt, wären einige Befunde eventuell nicht mehr signifikant gewesen. Dies liegt daran, dass bei einer zusätzlichen Erkrankung in der Kontrollgruppe der Unterschied zwischen der Anzahl der Erkran- kungen in der Kontrollgruppe und in der Expositionsgruppe kleiner wird. Allerdings überträgt man die Erkran- kungsrate aus historischen Kontrollgruppen auf die Kontrollgruppe dieser Studie, war zu erwarten, dass keine bis maximal eine Ratte an Herzschwannomen in der Kontrollgruppe der NTP-Studie erkrankt (BERENIS 2018). Zu- dem hätte die Zahl der Erkrankungsfälle mit jeweils 5 und 6 Fällen in der höchsten Expositionskategorie auch bei einer zusätzlichen Erkrankung in der Kontrollgruppe weiterhin deutlich höher gelegen als die historischen Er- krankungsrate (BERENIS 2018). Weiterhin erkranken Sprague Dawley-Ratten zwar häufig spontan, entwickeln allerdings selten Gliome und Schwannome des Herzens (Melnick 2019).
Eine im Durchschnitt niedrigere Überlebensrate der scheinexponierten Ratten in der NTP-Studie kann die Ergebnisse beeinflusst haben, argumentiert weiter ICNIRP (2019). In der Tat: hätten die Ratten aus der Kontroll- gruppe länger gelebt, hätten sie vielleicht auch Schwannome des Herzens und/oder Gliome entwickelt (ANSES 2018b; Dürrenberger und Fröhlich 2018). Zwar wurde diese Anomalie in der statistischen Auswertung berück- sichtigt, dennoch vermutet ICNIRP (2019), dass die Effekte unterschätzt bleiben. BERENIS (2018) argumentiert hingegen, dass keine präkanzerösen Läsionen in den frühzeitig verstorbenen Tieren der Kontrollgruppe beobach- tet wurden, ein Hinweis dafür, dass sie weder Herzschwannome noch Gliome entwickelt hätten, hätten sie länger gelebt.
Wenn in einer Studie viele Zusammenhänge getestet werden, ist zu erwarten, dass manche Ergebnisse zu- fällig statistisch signifikant sind. Daraus leitet ICNIRP (2019) ab, dass es nicht möglich sei, zu bestimmen, ob die Ergebnisse Folge der Exposition oder des Zufalls sind. Allerdings beobachtet man in Studien mit niedriger statis- tischer Kraft seltener Erkrankungsfälle, obwohl die Behandlung in der Realität keinen Effekt verursacht, als keine Erkrankung, obwohl die Behandlung eigentlich gesundheitsschädlich ist (Melnick 2019).
Zusammenhänge zwischen der verabreichten Dosis und der Krebsinzidenz sind nicht immer eindeutig und stimmen zwischen den Studien nur teilweise überein. Wird ein Zusammenhang zwischen der verabreichten Dosis und den beobachteten gesundheitlichen Auswirkungen festgestellt, ist dies ein Hinweis dafür, dass die Effekte auf die Behandlung zurückzuführen sind. Solche Dosis-Wirkung-Zusammenhänge wurden in einzelnen Untersu- chungsgruppen beobachtet. Während BERENIS (2018) einen Dosis-abhängigen Trend in Bezug auf eine Zu- nahme der Karzinogenität von Schwannomen und Gliomen in den Befunden erkennt, sind diese Dosis-Wirkung- Zusammenhänge aus der Perspektive der für Fragen der Ernährung und Medikamente zuständigen amerikani- schen Behörde (U.S. Food and Drug Administration 01.11.2018) nicht eindeutig. Zudem zeigen diese Trends keine Konsistenz zwischen den beiden Studien (Dürrenberger und Fröhlich 2018): Während Falcioni et al. (2018) signifikante Ergebnisse bei einer Exposition von 0,1 W/kg feststellen, sind die Ergebnisse der NTP-Studie erst in der höchsten Expositionskategorie von 6 W/kg signifikant, beobachtet ICNIRP (2019). Darüber hinaus lassen sich viele Beobachtungen (z. B. Unterschiede zwischen 2G und 3G) nicht mit bekannten physio-biologischen Mecha- nismen erklären (ANSES 2018b). Allerdings waren für die meisten anderen Evaluationsstudien des NTP, welche die Karzinogenität einer Substanz nachgewiesen haben, keine verifizierten Wirkmechanismen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung identifiziert worden. Dies ist also keine Anforderung für die Anerkennung der Karzinogenität einer Substanz (Melnick 2020, S. 679).
Es wird diskutiert, ob die hohen Expositionsniveaus in der NTP-Studie thermische Effekte verursacht haben könnten. Um das Auftreten thermischer Effekte auszuschließen, wurden auf einer Vorstudie beruhend Expositi- onsniveaus gewählt, auf welchen kein Temperaturanstieg über 1°C beobachtet wurde. Da nicht bekannt ist, dass Auswirkungen solch geringer Temperaturanstiege die Tumorinzidenz beeinflussen, kann davon ausgegangen werden, dass die Tumorinzidenz mit thermischen Effekten nicht zusammenhängt (BERENIS 2018). ANSES (2018b) und ICNIRP (2019) werfen dem Forschungsteam vor, die Körpertemperatur der Tiere in der Kurzzeit- studie nicht präzise gemessen und während des Experiments in keiner der beiden Studien kontrolliert zu haben. Daher könne nicht ausgeschlossen werden, dass die erhöhte Krebsinzidenz auf thermische Effekte zurückzuführen ist (ICNIRP 2019; ANSES 2018c; Dürrenberger und Fröhlich 2018). Weitere Indikatoren der NTP-Studie (Kör- pergewicht, klinische Beobachtungen) sprechen allerdings eher dafür, dass die Tiere die Exposition gut toleriert haben (Melnick 2020, S. 680).
Übertragbarkeit der Befunde auf die menschliche Gesundheit
Üblich in toxikologischen Studien ist es, höhere Dosen zu verabreichen, um biologische und physiologische Ef- fekte zu verdeutlichen (BERENIS 2018). Allerdings spiegelten somit die experimentalen Bedingungen und ins- besondere im Fall der NTP-Studie die Intensität der Exposition eine gewöhnliche menschliche Exposition im
Vorabfassung – wird durch die endgültige Fassung ersetzt.
























































































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