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Drucksache 20/5646
Anmerkungen zu Strategien der Forschungsförderung
Eine evidenzbasierte informierte gesellschaftliche und politische Diskussion in Bezug auf mögliche gesundheit- liche Auswirkungen von HF-EMF und die diesbezügliche Risikovorsorge (vor allem Grenzwertsetzung) ist auf die Ergebnisse der internationalen wissenschaftlichen Studien zu diesem Themengebiet angewiesen. Grundsätz- lich ist bei der Forschungsförderung eine proaktive oder eine reaktive Strategie möglich (FSM 2017).
Im ersten Fall würde systematisch und kontinuierlich in Primärforschung investiert, um offene Fragen zu klären und die Risikodebatte konstruktiv voranzubringen. Die reaktive Strategie würde bedeuten, lediglich den internationalen Wissensfortschritt zu beobachten, um bei Bedarf (wissenschaftlich, politisch) entsprechende For- schungsaktivitäten zu lancieren. Es ist allerdings zu beachten, dass die in Deutschland im Zuge des DMF und seiner Nachfolgeaktivitäten aufgebauten zum Teil hochspezialisierten Forschungskapazitäten und -kompetenzen ohne einen gewissen kontinuierlichen Mittelzustrom nicht dauerhaft aufrechterhalten werden können. Trocknet die EMF-Forschungscommunity in Deutschland jedoch aus, müssten möglicherweise zu einem späte(re)n Zeit- punkt lancierte Projekte ins Ausland vergeben werden.
Bei der Forschungsförderung sollte auf jeden Fall auf höchstmögliche Qualität der vorgeschlagenen Experi- mente und Methoden geachtet werden. Diese – aus wissenschaftlicher Sicht selbstverständliche – Empfehlung erhält im Zusammenhang mit möglichen Gesundheitsrisiken von EMF eine erhebliche gesellschaftliche und auch wirtschaftliche Relevanz. Nur bei hoher wissenschaftlicher Qualität kann seriös geprüft werden, ob eine Wirkung kausal ist oder ein Artefakt der (mangelhaften) Anlage bzw. Durchführung der Studie. Hinzu kommt, dass es offenbar einen Zusammenhang zwischen Studienqualität und dem Nachweis von Effekten gibt: Wenn die wis- senschaftliche Qualität einer Arbeit hoch ist, werden im Schnitt deutlich weniger Effektnachweise gefunden als in Arbeiten minderer Qualität (s. hierzu z. B. Simkó et al. 2016).
Neue Erkenntnisse aus zwei Langzeit-Tierstudien
Nach der Fertigstellung des Gutachtens der FSM (2017) wurden Ergebnisse von zwei groß angelegten weltweit beachteten Tierstudien veröffentlicht. Im Folgenden werden die Kernergebnisse beider Studien dargestellt und die Herausforderungen der Ergebnisinterpretation in diesem Feld illustriert. Es wird aufgezeigt, wie verschiedene Expert/innen bzw. Institutionen mit jeweils plausiblen Argumenten aus denselben wissenschaftlichen Befunden unterschiedliche Handlungsnotwendigkeiten ableiten. Dies ist in vielerlei Hinsicht typisch für die Kontroversen, die das gesamte Themenfeld charakterisieren. Aus diesem Grunde und weil die Ergebnisse beider Studien zentral für die Bewertung der Karzinogenität von HF-EMF sind, werden die Befunde, Interpretationen und Debatten rund um die beiden Langzeittierstudien hier ausführlich dargestellt.
Methodisches Vorgehen
Diese zwei Langzeit-Studien wurden unabhängig voneinander jeweils in den USA und in Italien durchgeführt, mit einer vergleichsweise untypisch hohen Anzahl an Nagern und in beiden Fällen nach hohen wissenschaftlichen Standards. Die italienische Studie ist sogar die bisher größte Studie über gesundheitliche Effekte von HF-EMF auf Ratten. Die amerikanische Studie ist die umfangreichste Studie zu den gesundheitlichen Auswirkungen von
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Die eine Studie wurde vom amerikanischen »National Toxicology Program« (NTP) – ein dem Ministerium für Gesundheitspflege und Soziale Dienste der Vereinigten Staaten zugeordnetes Programm – mit einem Budget von ca. 25 Mio. US-Dollar durchgeführt. Der Fokus der NTP-Studie lag auf der körpernahen Exposition durch Mobilfunkstrahlung (National Toxicology Program 2018, S. 9). Dabei wurden die Auswirkungen von EMF auf je 1.260 Ratten und Mäuse untersucht. In der Rattenstudie, deren Ergebnisse besonders diskutiert wurden, wurden Sprague-Dawley-Ratten eingesetzt, eine für ihre Empfindlichkeit bekannte Art, die häufig für die Untersuchung
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Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode
In beiden Studien kam man zu dem Ergebnis, dass HF-EMF krebserregend sind und ein erhöhtes Auftreten von Herz- und Hirntumoren verursachen. Für manche Experten sind die dabei gewonnenen Erkenntnisse Grund genug, die IARC-Einstufung von hochfre- quenten elektromagnetischen Feldern, die bislang als »möglicherweise krebserregend« galten, nunmehr als
»krebserregend« einzustufen.
EMF auf Tiere, die mit 2G- und 3G-Mobilfunksignalen exponiert wurden.
74 https://www.niehs.nih.gov/news/newsroom/releases/2018/november1/index.cfm (24.2.2022)
Vorabfassung – wird durch die endgültige Fassung ersetzt.