Page 120 - Auswirkungen-HF-EMF-auf-die-Gesundheit
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Drucksache 20/5646
Defizite bei experimentellen und epidemiologischen
Untersuchungsdesigns
In vielen Experimenten mit Zellen und Labortieren werden nach wie vor zu wenig detaillierte Angaben über die Verteilung der Energieabsorption gemacht. In Versuchen mit Labortieren hat die Angabe der durchschnittlichen Ganzkörperabsorption nur beschränkte Aussagekraft. Da die Absorption innerhalb der verschiedenen Regionen und Gewebe um den Faktor 10 und mehr variieren kann, wären ausführlichere Angaben zu den Werten in den verschiedenen Organen und Geweben sinnvoll. Dies würde auch eine bessere Vergleichbarkeit der Resultate aus verschiedenen Studien ermöglichen. Im Weiteren fehlt in vielen Experimenten die Temperaturkontrolle. Dies ist nicht in allen Fällen während des Studienverlaufs zu gewährleisten, jedoch würde ein verbessertes Monitoring verschiedener Umgebungs- und/oder physiologischer Parameter aber eine genauere Abschätzung des Einflusses von Nebeneffekten bzw. eine bessere Unterscheidung zwischen thermischen und nichtthermischen Effekten er- lauben.
In epidemiologischen Studien besteht immer noch die Unsicherheit betreffend den Einfluss der eigenen Mo- bilgeräte auf die persönliche Exposition. Geräte und Methoden zur Erfassung dieser Anteile sind derzeit nicht verfügbar. Außerdem wurde ein großer Einfluss der Kopfanatomie auf die Energieabsorption in spezifischen Re- gionen des Hirns festgestellt. Daher müssten für epidemiologische Studien zum Zusammenhang von Mobiltele- fongebrauch und Hirntumoren jeweils die zu den Personen gehörenden Spezifika der Kopfanatomien bei den Analysen berücksichtigt werden. Dies würde allerdings den Modellierungsaufwand beträchtlich erhöhen und Werkzeuge zur automatischen Kategorisierung von anatomischen Daten aus bildgebenden Verfahren erfordern (z. B. KI-gestützte). Die Resultate bisheriger Studien über den Zusammenhang zwischen Mobiltelefonnutzung und Hirntumoren stehen insofern unter einem gewissen Vorbehalt, da die tatsächliche Exposition – die von den tu- morbetroffenen Hirnregionen real absorbierte Strahlungsdosis – mit diesem Verfahren nur geschätzt werden kann. Das heißt, eine damit einhergehende Fehlklassifikation der Exposition kann sowohl zu einer Überschätzung füh- ren, jedoch auch zu einer Unterschätzung des tatsächlichen Risikos.
Fazit
Neuere Erkenntnisse aus Tierstudien weisen auf die Möglichkeit von Effekten durch EMF-Exposition hin. Dabei handelt es sich um die Aspekte Krebspromotion bei Labornagern, Fertilität und Entwicklung. Evidenz scheint es auch dahingehend zu geben, dass HF-Exposition das Verhalten von Labortieren beeinflusst. Auch gibt es eine Reihe von ernstzunehmenden Hinweisen, dass HF-EMF das Tumorrisiko bei ausgewählten Tumoren (Herz, Lunge, Leber, Lymphe) erhöhen. Diese Befundlage wird aktuell in der Fachwelt und von Bewertungsgremien in vielen Ländern intensiv diskutiert, da 2020 die Ergebnisse zweier großer, qualitativ hochwertiger Studien vorge- legt wurden (Kap. 6). Ebenfalls bei Tierstudien sind limitierte Hinweise gefunden worden, dass EMF einen Ein- fluss auf neurodegenerative Erkrankungen haben könnten. Möglicherweise spielt dabei eine unter EMF-Exposi- tion höhere Anzahl Sauerstoffradikale in Zellen eine Rolle. Der Nachweis dieses Effekts in Zellstudien ist zwar noch nicht überzeugend, aber neuere Tierstudien stützen mit limitierter Evidenz diesen Befund. Im Hinblick auf Krebsentstehung können neuere Tierstudien erhöhte Inzidenzen zeigen. Danach zeigen sich bei Mäusen, die mit einem karzinogenen Stoff (hier Ethylnitrosoharnstoff) behandelt wurden, mehr Leber- und Lungentumore sowie erhöhte Werte von Lymphomen, wenn die Tiere gegenüber HF-EMF exponiert werden. Allerdings konnte kein klarer Dosis-Wirkungs-Zusammenhang gefunden werden.
Auch bei neueren Humanstudien werden Hinweise auf einige (negative) Wirkungen von HF-EMF in Erwä- gung gezogen. Sie betreffen eine mögliche Beeinflussung des Schlafs, wobei die Nachweise insgesamt inadäquat sind, bei Kindern hingegen konnte ein limitierter Nachweis hinsichtlich Einschränkungen der Schlafqualität ge- führt werden. Auch weisen experimentelle Studien auf einen negativen Einfluss auf das Wachstum von Neuriten (langgestreckte Fortsätze von Nervenzellen) hin. Sollten sich diese Resultate in weiteren Repliken bestätigen, wäre dies für die Entwicklung von neurodegenerativen Erkrankungen von großer Relevanz, denn Neuriten sind Vorstufen von Dendriten und Axonen. Aufgrund der zahlreichen möglichen Auswirkungen auf neurodegene- rative Erkrankungen sowie auf die Kognition sollten diese Aspekte in weiteren Forschungen abgeklärt werden.
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